Tuesday, August 5, 2008

Namaste, Bharat!


Mit dem heutigen Tage bin ich nun bereits zwei Wochen in New Delhi. Zeit, einmal Revue passieren zu lassen, was in diesen, zugegeben sehr ereignisreichen Tagen seit meiner Ankunft alles passiert ist, und damit euch, liebe Daheimgebliebene, auf den neuesten Stand zu bringen.

Die ersten sechs Tage, an denen auch Micha und Moritz mit mir in Delhi waren, haben wir größtenteils auf dem Campus der Jawaharlal Nehru University (JNU) verbracht. Das Centre of German Studies hatte eine Suite im Guesthouse für mich gebucht, wo wir die ersten Nächte unterkamen. Das Wort 'Suite' mag Assoziationen hervorrufen, denen die Räumlichkeiten nicht gerecht werden würden. Mittlerweile weiß ich jedoch, das diese (saubere) Unterkunft mit Klimaanlage, Kühlschrank, TV und "Sitztoilette" für indische Verhältnisse geradezu königlich war. Der Haken bei der ganzen Geschichte war nur, das ich erst beim Auschecken erfahren habe, das dieser ganze Luxus auf meine Kosten ging. 'Gebucht' bedeutete also nicht auch gleich 'bezahlt'. Damit waren dann gleich einmal INR 6000 (ca. 91 Euro) weg.

Mittwoch und Donnerstag dienten zur Einführung in die Welt der indischen Bürokratie. Und, liebe Leute, dass mir ja niemand mehr über die deutschen Beamten meckert! Mittwoch verging im Grunde ohne, dass tatsächlich etwas passiert wäre. Die meiste Zeit habe ich mit rumsitzen verbracht. Richtigerweise muss ich 'wir' sagen, denn nicht nur Micha und Moritz waren neugierig, diesen Teil der indischen Kultur kennen zu lernen, sondern zwei indische Master-Studentinnen hatten die bemitleidenswerte Aufgabe, mich durch den Verwaltungsdschungel zu führen und mich vor allem über die Sprachbarriere zu schubsen. Denn, auch das eine Überraschung, mit Englisch kommt man auf Verwaltungsebene nicht allzu weit. Den Rest des Tages haben wir damit verbracht, Unterlagen und Dokumente von A nach B zu tragen, meinen Ausweis samt Visum dutzendfach zu kopieren und Passbilder machen zu lassen. In Indien wird noch alles schön mit der Hand geschrieben und in dicken Papierakten abgeheftet (eigentlich mit Hilfe eines Fadens aufgefädelt und zwischen die Aktendeckel gelegt). Auf jedem ausgefüllten Dokument tront zudem mein ironisch lächelndes Anlitz. Und Papa, falls Du das liest, Deinen Namen kennt man jetzt in Indien. In jedem Formular wird neben der eigenen Identität auch immer nach dem Namen des Vaters oder des Ehemanns gefragt (unnötig zu erwähnen, dass der Name der Mutter bzw. der Ehefrau irrelevant ist ... ).

Jedenfalls fehlte ständig ein Brief oder ein Gesuch, dann wurde man wieder auf später vertröstet. Am später Mittwoch nachmittag war es endlich so weit. Ich durfte eine Seite meines Antrages auf Erteilung eines Wohnheimzimmers wieder mitnehmen und zur Senior Warden, Dr. Arif, ins Yamuna Hostel bringen. Das Yamuna Hostel, benannt nach dem Fluss Yamuna, ist ein Frauenwohnheim für arbeitende Frauen. Grundsätzlich sind alle Wohnheime auf dem Campus schön nach Männlein und Weiblein getrennt, sodass es, oh weh oh weh, ja nicht zu skandalösen Vorfällen der Geschlechtermischung oder gar -vereinigung kommen kann. Dr. Arif führt das ihr unterstellte Wohnheim wie eine Gefängnisdirektorin. Sie entscheidet, wer rein und raus darf, wer umziehen darf, wer wann Besuch mitbringen darf etc. Mit mir konnte sie an jenem Mittwoch jedoch gar nichts anfangen, denn eine weiße Frau aus Europa war ihr bisher noch nicht untergekommen, entsprechend passte ich in keine der Kategorisierungsschubladen. Die Mädels haben ihr Bestes getan, um die Situation verbal zu veranschaulichen. Schließlich wurde ich aber mit dem Verweis abgewatscht, ein einseitiges Antragsformular sei ja wahrlich nicht genug. Sie wolle bitte schön alle Briefe und Unterlagen zu meiner Person und zu meinem Aufenthalt auch in ihrer Akte ablegen. Also trollte ich mich verunsichert von dannen, um es am Donnerstag in Begleitung von Dr. Madhu Sahni vom Centre of German Studies noch einmal zu versuchen. Madhu hatte schon am Telefon deutlich gemacht, dass etwas mehr Kooperation angebracht sei und bestand auf eine Unterhaltung "face-to-face", wie sie sich ausdrückte.

Man glaubt gar nicht, was eine klare Ansage alles bewirken kann. Madame Arif war plötzlich die Freundlichkeit in Person. Natürlich hätte sie für alles Verständnis (obwohl sie bis heute überhaupt nichts versteht...), aber man müsse doch auch sie, Sklavin der Bürokratie, verstehen. Naja, das haben wir ja auch und sie bekam ihren dicken Papierstapel, den sie einmal kurz durchblätterte (vermutlich, um die Seiten zu zählen) und dann abfädelte. Plötzlich gab es auch ganz viele Zimmer, die frei waren, und sie nahm uns gleich mal mit auf eine Wohnheimtour. Tja, da stand ich nun, Insassin des Yamuna Hostels. So richtig konnte ich mich über meinen bürokratischen Sieg nicht freuen. Und dabei hatte das Hostels mir sogar ein Empfangskomittee organisiert: zwei dicke Kröten, die sich in meinem zukünftigen Zimmer schon so richt eingeschis ...äh ... eingelebt hatten. Ich habe mich dann übers Wochenende in meine Luxussuite geflüchtet und den Einzug verschoben. Am Montag (28.7.) übernahm ich also voller positiver Gedanken mein Zimmer, habe es so gut es ging sauber gemacht und ein wenig, der Gemütlichkeit halber, ausgepackt. Wenn Inderinnen und Mädels aus anderen asiatischen Ländern im Yamuna leben könnten, sollte doch auch ich das schaffen. Mal alle Vorbehalte verdrängt, die komfortable deutsche Toilette und die schöne saubere Badewanne vergessen und schwups eine erste Erfrischung im Yamuna-Gemeinschaftsbad gegönnt. Das Toilettenerlebnis war tatächlich zum Angewöhnen, solange man vergisst, was einem möglicherweise alles in den Hintern krabbeln kann, wenn man diesen zulange in Hockposition über das Loch hält. Denn diese Toiletten sind tatsächlich hygienischer, weil man nicht in Versuchung kommt, sich auf eine verkeimte Klobrille zu setzen. Weiterhin frohen Mutes also unter die Dusche! Naja, und da verließ mich Weichei dann aller Mut und jegliche gute Laune. Umzingelt bzw. eingewoben von Spinnen, Grillen und Käfern diverser Natur fühlte ich mich plötzlich gar nicht mehr wohl in meiner nackten Haut. Aus dem Duschen wurde eher eine Katzenwäsche, wodurch ich pünktlich für das Aufeinandertreffen mit einer dicken Kakerlake aus der Dusche trat. Eine dieser Abart verirrte sich später auch noch in mein Zimmer.

In diesem Moment war für mich klar, zu derlei Integration würde ich nicht in der Lage sein, zumindest nicht über sechs Monate hinweg. Ermutigt von Micha und Moritz nach Alternativen zu meiner 4qm Zelle mit tierischen Untermietern zu fragen, suchte ich das Gespräch mit den Professoren des CGS. Dadurch drang meine Beschwerde auch an Frau Kochers deutsches Ohr, die mich in einem Telefonat dazu aufforderte, aus dem Wohnheim zuzuziehen, aber pronto! Die indischen Studierenden hätten in Berlin auch vernünftige Unterkünfte gehabt.

Glücklicherweise lebt seit geraumer Zeit ein besonders lieber Mensch in Delhi, die Sabine nämlich (siehe tote-froesche), die mich zur Abfederung aller Anfangsschwierigkeiten für ein paar Tage in ihre Wohnung einlud. Aus ein paar Tagen sind nun eine Woche geworden. Am 31.7. habe ich versucht aus dem Wohnheim auszuziehen, denn die Miete, die 15% meines Einkommens betragen sollte (das wären INR 7312 oder ca. 111 Euro), wird pro Kalendermonat, nicht je verbrachtem Tag berechnet. Leider hatte ich mal wieder Madame Warden unterschätzt. Fehler No. 1: ich kam schon wieder mit einer indischen Studentin in die Sprechstunde unserer Hoheit. Fehler No. 2: zu denken, frau könne ohne Genehmigung und sofort das Zimmer kündigen und räumen. Fehler No. 3: zu denken, frau dürfe ihre privaten Sachen ohne "Gatepass" aus dem Zimmer nehmen. Sehr interessant, wenn man bedenkt, dass es nicht mal eine Matratze für das Bett gab.

Nein, ich hätte 15 Tage vor dem anvisierten Auszugstermin einen dreiseitigen Antrag zur Erteilung einer Auszugsgenehmigung einreichen müssen. Das hätte dann also spätestens am 16.7. passiert sein müssen. Es sei nur mal so angemerkt, dass ich an diesem Tag noch nicht einmal im Besitz eines Einreisevisums für Indien war... . Sie sei doch nur "a humble servant" und könne nicht allein über den Auszug entscheiden. Die Entscheidung darüber und über anfallende Gebühren träfe das Wohnheimkomittee. Nun gut, sie erteilte mich nach langem Diskutieren die Gnade, das 3seitige Formular ausfüllen zu dürfen und meinte, sie täte ihr Bestes, dass ich nichts mehr zahlen müsse. Bisher hätte ich ja auch noch nichts gezahlt. Was man so nicht sagen kann, denn ich habe dem Hostel INR 5725 bar übergeben. Was sie meint, ist, dass darin lediglich INR 750 für die Miete enthalten sind, der Minimumbetrag für geringverdienende Hostelinsassinnen, und das sei ja bitte schön nichts im Verhältnis zu der eigentlich von mir abzuführenden Summe. Übrigens, auch dieses Bild möchte ich mit euch teilen: Nachdem ich anhand des deutschen Schreibens mit dem Schreiberling der Warden, der stets in militärisch breitbeiniger Pose mit hinter dem Rücken verschränkten Armen Befehle entgegennimmt, meine Monatsmiete errechnet hatte, konnte dieser gar nicht mehr aufhören zu grinsen. Meine Frage, ob es denn neben einer Mininalmiete auch einen Höchstsatz gäbe, wurde mit einem verlachten "No, no limit!" beantwortet. Ich denke, mit mir ist ihnen ein ganz fetter Fisch durch die Finger geflutscht... Das Zimmer habe ich also noch mindestens bis zum 15.8. und ich warte auf den Freilassungsspruch der Warden.

Mittlerweile gibt es einen neuen Chair im Centre, der unglaublich nett und hilfsbereit ist. Er hat organisiert, dass ich mir einmal die Unterkunft der Sprachassistentin vom vergangenen Semester angucken darf, die entgegen aller vorherigen Auskünfte nämlich gar nicht neu vermietet ist, sondern mir zur Verfügung stehen würde. Jedoch habe ich mich aufgrund der ganzen Anfangsprobleme dazu entschlossen, mir selbst ein Zimmer in einer WG zu suchen, um ein wenig weiter in der Stadt und vor allem gleich unter Menschen zu sein. Diese Zimmersuche nahm dann gestern eine erstaunliche und unglaublich schöne Wendung dadurch, dass sich Sabines neue Mitbewohnerin entschloss, in ihre alte Wohnung zurückzuziehen. Damit darf ich nun offiziell verkünden, dass ich einen festen Wohnsitz in New Delhi habe!

Am Montag habe ich zudem das erste Mal unterrichtet. Die zwei Stunden verliefen sehr gut (was auf meiner Seite daran lag, dass die lieben Studis gleich mal einen Test schreiben durften ...) und ich bin ganz optimistisch, das die Zusammenarbeit mit den Studierenden gut funktionieren wird. Neben diesem Grammatikkurs werde ich ab dem 18.8. den Konversationskurs der Anfänger leiten. Dank Sabines weitverzweigten Beziehungen werde ich ab kommendem Montag zusätzlich für zwei Stunden die Woche mit zwei "Botschaftskindern" Literaturunterricht machen, damit sie langfristig auf das deutsche Abitur vorbereitet werden.

Wie ihr lest, darf ich nun behaupten, in Delhi angekommen zu sein. Die Startschwierigkeiten sind vergessen, denn in der neuen Wohnung fühle ich mich sehr wohl. Hier gibt es nur kleine und größere Geckos, die aber total ungefährlich und sehr schüchtern sind. Sie hängen halt gerne an Wänden rum, und das sei ihnen doch gegönnt. Jetzt gilt es endlich, Delhi zu entdecken, und mich durch den tutoralen Alltag an der JNU zu wurschteln. Davon werde ich euch dann demnächst berichten.


2 comments:

Rob said...

Heftig, Alter... Wie schön - du wirst dich nach deiner Rückkehr in der Haftanstalt Tegel pudelwohl und im Luxus fühlen!

Gott sei Dank bist du da raus!!!

Klingt alles echt spannend, ich drück die Daumen, dass alles gut weitergeht!

Grüße auch an die Jungs,
Rob

Unknown said...

Ich hatte ja Matratzen und Vorhänge schon immer für überflüssigen Luxus gehalten... warum nicht mal ein schlichtes Gitter vor das Fenster?!
Vielen Dank für den Einblick in den indischen Alltag, ich freue mich schon auf viele weitere lustige Geschichten, Photos und Videos!
Eine Frage: verfolgst du eigentlich Olympia oder interessiert das in Indien keinen?
Mach's juti: katja